Annette Schneider

Lyrik und Lieder

Mit Literatur kam ich schon als ganz kleines Mädchen in Berührung. Meine Mutter arbeitete jahrelang als Deutschlehrerin, später in der Bibliothek. Kennengelernt hatten sich meine Eltern auf der Kulturhausbühne. Ihr Bücherregal war für mich ein Leseabenteuerspielplatz. Zum Geburtstag schrieb mir mein Vater kleine lustige Gedichte in Bilderbücher. Auf langen Autofahrten sangen und reimten wir drauflos. Als ich später als Studentin die Gedichte von Annemarie Bostroem las, nahm ich sofort Kontakt zu ihr auf. Es entstand eine lange, herzliche Freundschaft.




Ausmessen des Weinspaliers

Schwer drückt die volle frische Frucht
aufs morsche Holz,
doch unbarmherzig ringelt sich

[...]

der junge Wein.
Die reife schöne Frau lässt ihren Nachbarn ein,
zu bändigen die frechen zarten Ranken.
Sie messen ihre Schritte aus
im trocknen Garten,
das Blattgewirr zu fangen
mit Eisenstangen,
dass unterm Dach aus kühlem Grün
der Tag sich einmal rundet wie die Trauben;
der stumme Alte steht dabei
mit Fünkchen in den Augen,
lacht,
streckt Arme wie Geäst
in violette Nacht.

         Annette Schneider, 18.8.2008

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Die Abendraben

Leise
um die blaue Stunde
fliegen sie, die Abendraben

[...]

sanft und still ums Haus.

Leise
drehn sie ihre Runde
bis sie ein Licht gefunden haben,
ruhen sich dort aus.

Sehn ihr altes Haus von oben
in den schwarzen Abendroben,
sehn den leeren Platz beim Abendessen,
sind schon wieder fort geflogen -
Keiner kann vergessen.

Leise
um die Parklaternen
streichen sie mit starken Schwingen,
kamen doch von weit.

Leise
unter Mond und Sternen
stelln wir ihnen Kerzen in die Fenster-
Es ist Zeit.

         Annette Schneider, 1.11.2012

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Fremder Besuch

Auf einmal war er da, der große Blasse.
In einem Schaukelstuhl saß er auf der Terrasse.
Kirschblütenblätter stiebten still ums Haus-

[...]

Er blieb und schwieg
und hielt sehr lange aus.

Die bleichen Arme in der Frühlingsluft,
sog er durch seine hohle Nase Tulpenduft,
in seinen Schädel zogen Meisen ein-
In seiner Nähe
musste alles leise sein.

Bald gruben wir die Erde um und pflanzten.
Er sah uns dabei zu, und wenn die Kinder tanzten,
dann klopfte er mit seinem rechten Schuh
den Rhythmus
im Sekundentakt dazu.

Nur einer war im weichen Frühlingslicht
nicht mehr genesen, sprach kein Wort und tanzte nicht.
Da stand der Blasse auf, nahm seine Hand:
Sie gingen leise,
leise durch die Wand.

         Annette Schneider, 2016

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Fremder blonder Junge im Süden

Meisenkindchen
Nordwindchen
leuchtet zwischen

[...]

würzigen Gewächsen
unterm Weinlaub auf.

Sonnentröpfchen
Goldschöpfchen
Babas auf den Bänken legen
ihre warmen Hände drauf.

         Annette Schneider, August 2008

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Komödiantin

(Für Martin Schoppe)

Das Seil ist dünn, auf dem ich balancier.
Der Raum ist leer. Doch da ist eine Tür,
die offensteht. Ich kann den Lichtstrahl sehn,

[...]

ich kann auf diesem Lichtstrahl weitergehn.

Man rief nichts. Niemand klatschte. Einer sah
auf meine Füße, als sei ich nicht da,
wie toll ich mich auch wendete und sprang -
sie hörten nur den eigenen Gesang.

Ich seh sie vor dem Thron des Königs stehn.
Sie kommen und sie feiern, und wir sehn:
Von Fremden werden Fremde fortgebracht,
fort in die eisesklare Winternacht.

Im Vollmondlicht am Fenster sah ein Mann
mit großen Augen eines Clowns mich an.
Er scheint so einsam, doch er redet nicht.
Ich glaube fast, ich kenne sein Gesicht

und ahne - er steht hinter jener Tür.
Spricht er mich an? Weiß er von mir?
Auch er ist auf dem Drahtseil balanciert,
dem Lichtstrahl folgend, der ins Freie führt.

         Annette Schneider, Juni 1995, 2008

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Singender Baum

Duftendes Land, harzige Hand
auf meiner Wange in funkelnder Nacht.
Warst wie Kristall, doch überall

[...]

aus einer knisternden Kiefer gemacht.

Seltsamer Mann, sahst mich so an,
dass unterm Herzen die Rinde zersprang,
singender Baum, silberner Schaum,
der bis zum Sternhimmel flog und verklang.

Weit, weit, weit überm See
fanden wir eisblaue Spuren im Schnee,
dorthin, dorthin wollte ich fliehn,
dort, wo im Sommer die Zugvögel ziehn.

Flüsternde Nacht, lauschend verbracht,
da sind im Wald wilde Beeren gereift.
Fandest mich dann, rührtest mich an,
so wie die Mücke die Kantele streift.

Innig und fremd, unter dem Hemd
nisteten Vögel, es zog mich hinaus,
leise und laut lag ich im Kraut,
Gras war mein Bett und das Meer war mein Haus.

Weit, weit, weit überm See
fanden wir eisblaue Spuren im Schnee,
dorthin, dorthin wollte ich fliehn,
dort, wo im Sommer die Zugvögel ziehn.

         Annette Schneider, 4/2009

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Tropfentraumlied

Die Nacht wäscht ihr Haar im kalten See,
der Mond schaut ihr zu dabei
und er breitet sein Licht ihr übers Gesicht,

[...]

als ob es ein Kuss von ihm sei.

Ein Tröpfchen ganz klein im See allein,
das spricht: Einen Wunsch ich hätt:
Ach, ich wär doch so gern ein funkelnder Stern
und leuchte den Kindern ins Bett!

Der Mond flüstert leis: Ich weiß, ich weiß,
komm Tröpfchen, dein Wunsch wird wahr!
Taucht im See in die Nacht, umschmeichelt sie sacht
Und steckt ihr das Tröpfchen ins Haar.

Die Nacht wäscht ihr Haar im kalten See,
der Mond schaut ihr zu dabei
und ein Tröpfchen ganz leis geht mit auf die Reis,
als ob es ihr Sternenkind sei.

         Annette Schneider, 2006

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